Kanalgebühren: Verordnungspfusch kommt Gerungser teuer zu stehen
Zusammenlegung in jetziger Form mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig!
Der Gemeinderat von Groß Gerungs hat am 19.10.2023 beschlossen, die Gebührenhaushalte für die acht Abwasserbeseitigungsanlagen in Groß Gerungs zu einem einzigen Gebührenhaushalt zusammenzulegen. Damit einher ging eine signifikante Erhöhung der Kanalgebühren für Haushalte, die an die Kläranlagen St. Jakob (+36 %), Preinreichs (+10 %), Etzen (+12 %), Groß Gerungs (+12 %) und Griesbach (+18 %) angeschlossen sind.
Bürgerliste als einzige dagegen
Die Bürgerliste GERMS hat sich als einzige Partei vehement gegen diese Gebührenerhöhung ausgesprochen. Einen früheren Erhöhungsversuch konnte ich 2022 noch als Stadtrat verhindern. In einer Zeit extremer Inflation empfinden wir so eine Erhöhung alleine schon aus einem sozialen Gesichtspunkt heraus als untragbar! Bund und Länder legen Programme auf, die der Teuerung entgegenwirken sollen. Und die Gemeinden wären in so einer Zeit gefordert, von jeglichen Gebührenerhöhungen abzusehen, um die Inflation nicht weiter anzuheizen. Selbst eine kurzfristige Unterfinanzierung der Abwasserentsorgung wäre dafür in Kauf zu nehmen.
Zumutbarkeit im Vordergrunde
Es ist übrigens ein Missverständnis, dass Gemeinden mit den Gebühren für die Abwasserbeseitigung eine hundertprozentige Kostendeckung der diesbezüglichen Aufwendungen erzielen müssten. Das NÖ Kanalgesetz 1977 schreibt so etwas nicht vor. Vielmehr ist in der Praxis die errechnete Gebührenhöhe nach dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit zu korrigieren. Das unterstreicht auch die Gesetzeserläuterung zum NÖ Kanalgesetz der Kommunalakademie NÖ, also jenem Institut, in dem Gemeindebedienstete ihre rechtliche Ausbildung erhalten. Dort wird herausgestrichen, dass “in ländlichen und zersiedelten Gebieten den Benützern oft keine kostendeckenden Gebühren zugemutet werden können” (Kommunalakademie NÖ, NÖ Kanalgesetz 1977 - Gesammelte Judikatur der Höchstgerichte, 2008, 26).
Eine Unterfinanzierung wäre aber in Groß Gerungs auch bei einem geringeren Gebührensatz von 2,18 oder 2,30 € nicht zu erwarten, denn die Gebührenkalkulation der Gemeinde ist schlicht und ergreifend fehlerhaft. Mit der neuen Kanalgebührenverordnung kommt im gesamten Gemeindegebiet derselbe Einheitssatz von 2,45 € zur Anwendung. Dieser Einheitssatz ist dann mit der Berechnungsfläche zu multiplizieren, um die Kanalbenützungsgebühr für ein Jahr zu errechnen. Wird neben Schmutzwasser auch Niederschlagswasser in das Kanalsystem eingeleitet, kommt ein um 10 % erhöhter Einheitssatz von 2,695 € zur Anwendung. Das betrifft im gesamten Gemeindegebiet etwa 48 % der Haushalte bzw. der Berechnungsflächen.
32.500 € Einnahmen vergessen
Stellt man nun Einnahmen und Ausgaben gegenüber, so leuchtet jedem ein, dass die Gebühreneinnahmen bei 52 % der Haushalte mit dem niedrigeren Einheitssatz von 2,45 € zu berechnen sind und bei 48 % mit dem höheren von 2,695 €.
Überraschenderweise erfolgte eine solche Differenzierung in der Kalkulation der Gemeinde aber nicht. Die Einnahmenseite wird ausschließlich mit dem niedrigeren Einheitssatz berechnet, was dazu führt, dass Einnahmen in der Höhe von 32.500 € in der Kalkulation fehlen.
33.300 gesetzwidrig angesetzt
Aber damit nicht genug. Auch ausgabenseitig wird an der Realität vorbei gerechnet. Das NÖ Kanalgesetz 1977 (§ 1a Z 8 lit c) schreibt vor, dass Tilgungen der Errichtungskosten nicht zur Gänze angesetzt werden dürfen, sondern nur unter Berücksichtigung einer der Art der Kanalanlage entsprechenden Lebensdauer. Kanalanlagen haben eine abschreibtechnische Lebensdauer von 50 Jahren. Ist nun zum Beispiel ein Kredit bei einer jährlichen Tilgung von 20.000 € über die Dauer von 25 Jahren abzuzahlen, so dürfen davon in der Gebührenkalkulation jährlich nur 10.000 € auf der Ausgabenseite angesetzt werden. Korrigiert man alle solchen Kredite in der Gebührenkalkulation, muss die Ausgabenseite um 33.300 € reduziert werden. Diese Ansicht vertritt auch die NÖ Landesregierung in ihrer Antwort auf eine von der Bürgerliste GERMS eingebrachte Aufsichtsbeschwerde.
Einnahmen zu niedrig angesetzt
Ein weiterer Punkt sind die zu erwartenden Einnahmen aus Kanaleinmündungsabgabe und Ergänzungsabgabe. Diese beliefen sich laut Nachtragsvoranschlag 2023 auf 141.100 €, scheinen in der Kalkulation allerdings nur mit 72.000 € auf. Es stimmt, dass diese Einnahmen in 2023 außergewöhnlich hoch waren, das Mittel der letzten fünf Jahre beträgt aber immer noch: 92.000 €. Die Einnahmenseite wäre also in jedem Fall um 20.000 € höher anzusetzen gewesen. Dass Kanaleinmündungs- und Ergänzungsabgabe ebenfalls erhöht wurden, ist dabei noch nicht einmal berücksichtigt.
Landeszuschuss zur Inflationsbekämpfung nicht eingerechnet
Verwunderlich ist auch, dass vom Land NÖ eine Förderung zur Inflationsbekämpfung angekündigt wurde, die auf die unterschiedlichen Gebührenhaushalte aufgeteilt werden sollte, sich dieser Posten in der Kalkulation aber nirgends findet. Für die Abwasserbeseitigung waren zuletzt etwa 45.000 € avisiert worden.
Korrektur gesamt 130.800 €
Die fehlerhafte Wirtschaftlichkeitsrechnung der Gemeinde wies eine knappe Kostendeckung aus. Führt man die oben genannten Korrektur aller “vergessenen” Einnahmen und gesetzwidrigen Ausgaben durch, bleiben der Gemeinde jedoch um 130.800 € mehr im Körberl. Eine Reduktion des Einheitssatz auf 2,18 € vermindert die Einnahmenseite um etwa 100.000 €. Ein Einheitssatz von 2,18 € oder 2,30 € wäre also problemlos machbar.
Rücklage von einer Million Euro
Im Übrigen liegt auf dem Rücklagenkonto der Abwasserbeseitigung aktuell etwa eine Million Euro. Das ist mehr als die Kanalgebühren eines Jahres im gesamten Gemeindegebiet oder 4% der Errichtungskosten aller Klär- und Kanalanlagen der Gemeinde.
Zusammenlegung wohl rechtswidrig
Scheitern wird die neue Kanalgebührenverordnung am Ende aber an etwas anderem. Die neue Gebühr ist zwar in ihrer Höhe unzumutbar und ihre Kalkulation entspricht nicht den gesetzlichen Bestimmungen, rechtlich relevant wäre dieser Fehler aber erst, wenn die Gebühr so hoch wäre, dass mehr als doppelt so viel eingehoben würde, als für den Betrieb tatsächlich aufgewendet wird.
St. Jakob separat zu führen
Unumstößlich ist jedoch, dass das NÖ Kanalgesetz 1977 in § 1 Abs. 4 vorschreibt:
Für verschiedene Kanalanlagen mit jeweils getrennten Entsorgungsbereichen in einer Gemeinde sind die Kanalerrichtungsabgaben und Kanalbenützungsgebühren verschieden hoch festzusetzen, wenn sich dies aufgrund eines unterschiedlichen Kostendeckungserfordernisses ergibt.
Und dies ist für die Kläranlagen St. Jakob jedenfalls zu bejahen. Ihr Kostendeckungserfordernis liegt wegen besonders guter Förderung unter dem, aller anderer Kläranlagen. Dort genügte bisher ein Einheitssatz von 1,80 € für die Deckung aller Kosten. Dieser Entsorgungsbereich wäre daher als getrennter Gebührenhaushalt weiterzuführen.
Aufhebung wahrscheinlich
Jede auf diesen Umstand gestützte Bescheidbeschwerde wird mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein. Die 36 % Erhöhung in St. Jakob hätte sich damit erledigt. Die neue Kanalgebührenverordnung wäre somit aber auch für den Rest von Groß Gerungs hinfällig.
Nur wer Beschwerde einbringt, profitiert
Von einer Aufhebung der Verordnung profitiert allerdings nur, wer seinen Bescheid auch bekämpft hat. Der Rest muss den neuen Tarif weiter zahlen, bis eine neue Verordnung erlassen ist - und das kann dauern. Aus diesem Grunde raten wir ALLEN, für die sich die Gebühren erhöht haben, eine Bescheidbeschwerde einzubringen.
Härtefallregelung nicht angewandt
Aber noch ein weiterer Aspekt der aktuellen Gebührenvorschreibung stößt der Bürgerliste GERMS übel auf. So hat die Gemeinde augenscheinlich nicht einmal die in § 5b NÖ Kanalgesetz verankerte Härtefallregelung bei den Betroffenen zur Anwendung gebracht, obwohl diese von Amts wegen schon im Erstbescheid zu berücksichtigen wäre. Über die dafür nötigen Daten verfügt die Gemeinde ja.
Diese Rechtsansicht bestätigt auch ein Gesetzeskommentar der Kommunalakademie NÖ zum NÖ Kanalgesetz 1977, wo es heißt, dass “ein Rechtsanspruch auf entsprechende Verminderung des Gebührenanteils schon bei der
Vorschreibung der Kanalbenützungsgebühr” bestehe. Im Stadtrat setzt sich augenscheinlich keiner mehr ernsthaft für soziale Gerechtigkeit ein, seitdem ich dort nicht mehr vertreten bin.
Anspruch ab 700 m² Berechnungsfläche
Anspruch haben Haushalte mit über 700 m² Berechnungsfläche, wenn auf jeden Bewohner mehr als 300 m² entfallen.
Mir ist ein Fall bekannt, wo einem Zwei-Personen-Haushalt 2.000 € inkl. USt. für die Kanalbenützung vorgeschrieben wurden. Das sind 5,45 € pro Tag. Als Bürgerliste GERMS werden wir uns weiter dafür stark machen, dass die Kanalgebühren auf ein zumutbares Niveau heruntergefahren werden. Für Fragen stehe ich gerne telefonisch, per E-Mail und auf der Info-Veranstaltung am 2. Februar zur Verfügung (siehe Kästchen oben). Sollte die Kanalgebührenverordnung aufgehoben werden, hoffen wir, dass die Gemeindeführung die berechtigte Kritik der Bürger ernst nimmt.
Zwischen Kostendeckung und Zumutbarkeit
Wir sind zuversichtlich, dass ein guter Kompromiss zwischen Kostendeckung und Zumutbarkeit möglich ist, eine Lösung, die von allen Bürgern und Parteien mitgetragen werden kann. Dem Bürgermeister bieten wir in der Angelegenheit abermals den Dialog an.